Erblasser hinterlassen dank ihrer fleißigen Arbeit oft sowohl in Deutschland, wo sie einen großen Teil ihres Arbeitslebens verbracht haben, als auch in ihrer alten Heimat (z.B. Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Serbien, Montenegro oder Nordmazedonien) einen Nachlass. In der Rechtspraxis stellt sich die Frage, welches Nachlassgericht für den Nachlass zuständig ist und welches Recht angewendet werden soll (sog. Erbstatut).
In den Ländern der Europäischen Union (mit Ausnahme von Dänemark) findet im Bereich des Erbrechts die Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (EuErbVO) Anwendung. Durch die Verordnung werden beispielsweise die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen Urkunden in Erbsachen in anderen EU-Staaten geregelt. Durch die EuErbVO eingeführtes Nachlasszeugnis ermöglicht z.B. schnellere und effizientere Identifizierung der Erben, was die Vorgehensweise der Gerichte und Behörden in anderen EU-Mitgliedstaaten, wo sich der Nachlass befindet, erleichtert. Republik Kroatien wendet als EU-Mitglied seit dem 17.08.2015 die o.g. Verordnung an.
Nach der Art. 21 Abs. 1 EuErbVO ist grundsätzlich für die Zuständigkeit und das anwendbare Recht für die Erörterung des gesamten Nachlasses der gewöhnliche Aufenthaltsort des Erblassers im Zeitpunkt des Todes entscheidend. Dieser richtet sich nach Lebensumständen des Verstorbenen in seinen letzten Lebensjahren und im Zeitpunkt des Todes, unter Berücksichtigung aller relevanten Tatsachen, zum Beispiel Dauer, Gründe und andere Umstände des Aufenthalts des Erblassers in einem Land als Folge einer engen und stabilen Bindung mit dem Land.
Im Gegensatz hierzu galt früher in Kroatien, Montenegro und Nordmazedonien ein ähnliches Prinzip der Bestimmung örtlicher Zuständigkeit und des anwendbaren Rechts bei der Durchführung von Nachlassverfahren, welches noch in Serbien und Bosnien und Herzegowina auf Grund des Gesetzes zum Kollisionrecht mit Vorschriften anderer Staaten in bestimmten Verhältnissen (Zakon o rješavanju sukoba zakona sa propisima drugih zemalja u odredjenim odnosima, Sl.list SFRJ 43/82) gilt. In diesen Ländern werden nämlich die Zuständigkeit und das anwendbare Recht vordergründig nach der Staatsbürgerschaft des Erblassers bzw. dem Ort, wo sich die zum Nachlass gehörenden Immobilien befinden, bestimmt. Hatte der Erblasser im Todeszeitpunkt die Staatsbürgerschaft des betreffenden Staates, auf dessen Hoheitsgebiet sich Nachlass befindet, wird die Zuständigkeit des Staates begründet und ihr nationales Recht wird angewendet. Falls der Nachlass im Ausland liegt, das Gericht des Staates der Staatsbürgerschaft des Erblassers ist subsidiär zuständig, wenn sich die auswärtige Behörde für unzuständig erklärt oder die Durchführung des Verfahrens verweigert. Wenn der Erblasser im Todeszeitpunkt ausländischer Staatsbürger war, ist das inländische Gericht nur hinsichtlich des Teiles des Nachlasses zuständig, der sich im Hoheitsgebiet des betreffenden Staates befindet.
Im Zuge der Anpassung nationaler Rechtsordnungen an das Recht der Europäischen Union wurden in den letzten Jahren die Regelungen des internationalen Privatrechts im erbrechtlichen Bereich in Nordmazedonien und Montenegro geändert, so dass als Kriterium für die Bestimmung des anwendbaren Rechts in Nachlasssachen nicht mehr die Staatsbürgerschaft des Erblassers, sondern sein gewöhnlicher Aufenthalt im Todeszeitpunkt gilt (Art. 51 des Gesetztes über das internationale Privatrecht der Republik Nordmazedonien vom 04.02.2020, in Anwendung ein Jahr nach dem Inkrafttreten; Art. 71 des Gesetztes über das internationale Privatrecht der Republik Montenegro vom 30.12.2013, in Anwendung seit 09.07.2014). Die gesetzliche Regulative hierzu ist eindeutig: „Für die Vererbung des gesamten Nachlasses gilt das Recht des Landes, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt zum Todeszeitpunkt hatte.“
Was dem künftigen Erblasser als die Ausweichmöglichkeit belassen wird, ist die Wahl des Rechts, das auf sein Erbe Anwendung finden soll. Wenn der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Land hat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und dennoch möchte, dass seine Erbschaft nach Rechtsvorschriften des Staates seiner Staatsbürgerschaft geregelt wird, kann das für sein Erbe anwendbare Recht durch ausdrückliche Rechtswahl bestimmt werden (Art. 22 EuErbVO). Bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts ist sogar vorrangig zu prüfen, ob eine Rechtswahl durch den Erblasser getroffen wurde, d.h. nur wenn keine vorrangig zu beachtende Rechtswahl zugunsten des Rechts der Staatsangehörigkeit vorliegt, bestimmt sich das Erbstatut objektiv nach Art. 21 EuErbVO. Eine solche Entscheidung des Erblassers muss im Erbvertrag oder im Testament ausdrücklich aufgeführt werden oder aus der Verfügung selbst deutlich hervorgehen. Aus Gründen der Rechtssicherheit empfiehlt es sich, eine ausdrückliche Wahl des anwendbaren Rechts zu treffen.
Neben der Grundanknüpfung des Art. 21 Abs. 1 EuErbVO ist zudem die Klausel des Art. 21 Abs. 2 EuErbVO zu beachten, wonach ausnahmsweise auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht eines anderen Staates, als des Staates, wo der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte, anzuwenden ist, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes eine offensichtlich engere Verbindung zu diesem anderen Staat hatte. Bereits aus der Formulierung wird ersichtlich, dass von dieser Ausweichklausel restriktiv Gebrauch gemacht werden soll. Nur in äußerst außergewöhnlichen Fällen soll diese Regelung greifen.
Die Anwendung der Ausweichklausel führt in Ermangelung klarer Regelung zu erheblicher Unsicherheit in der Praxis, so dass es oft zu parallel geöffneten Nachlassverfahren bezüglich des selben Nachlasses in mehreren Ländern kommt. Eben einen solchen Fall, in dem ein kroatischer Notar einen Erbbeschluss über das in Kroatien befindliche Vermögen eines kroatischen Staatsbürgers erlassen hat, während parallel dazu ein Nachlassverfahren in Deutschland eingeleitet wurde, wo der Erblasser lange Zeit gearbeitet und gelebt hatte und wo er auch starb, bearbeiten wir aktuell.
Bosnien und Herzegowina, Serbien, Montenegro und Nordmazedonien gehören (noch) nicht der EU, so dass die o.g. Verordnung auf sie keine direkte Anwendung findet. Nach der Vorschrift des Art. 25 EGBGB werden jedoch in Deutschland die Vorschriften des Kapitels III der Verordnung entsprechend angewendet. Dies führt dazu, dass sich die deutschen Gerichte für den gesamte Nachlass für zuständig erklären und deutsches Recht anwenden, wenn insoweit Voraussetzungen erfüllt sind.
Schlussfolgernd kann festgestellt werden: Hatte der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in der Europäischen Union, so ist für die Vererbung seines innerhalb der EU, aber auch in Montenegro und Nordmazedonien befindlichen Vermögens das Gericht zuständig und das Recht des Staates anwendbar, wo der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte, unabhängig davon, wesen Staatsangehörigkeit er besaß oder wo sich der Nachlass befindet. Anders verhält es sich, wenn der Erblasser Staatsbürger von Bosnien und Herzegowina oder Serbien war und Eigentum, vor allem Immobilien, in einem dieser Länder hinterlassen hat. In einem solchen Fall wird sich das Gericht des jeweiligen Landes für diesen Nachlass zuständig erklären und materielles Recht des Landes, wessen Staatsbürger der Erblasser war, beziehungsweise, des Landes wo sich die Immobilie befindet, anwenden.
Es ist zu erwarten, dass im weiteren Prozess der Annäherung von Bosnien und Herzegowina und Serbien an die Europäische Union auch dessen internationales Privatrecht an das Recht der Europäischen Union angepasst wird. Die aktuellen Unterschiede in der Regelung der erbrechtlichen Angelegenheiten wecken selbst unter Experten große Unsicherheit. Wir erhalten nicht nur von Mandanten, sondern vermehrt auch von Kollegen Rechtsanwälten und Notaren Fragen wie: Welches Recht im konkreten Fall anzuwenden ist sowie, wie der Nachlass verteilt werden soll, da sich hier erhebliche Unterschiede ergeben können, insbesondere unter dem zusätzlichen Einfluss anderer Rechtsgebiete, wie z.B. des Familienrechts, für dessen Anwendbarkeit grundsätzlich weiterhin nationale Kriterien gelten.
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